from an interview. Spiegel Online and Sarah Kuttner.
SPIEGEL ONLINE: Wollen Sie mit “Mängelexemplar” kritisieren, dass alles und jeder perfekt zu funktionieren hat?
Kuttner: Nein, diesen Druck macht man sich ja selbst, selten das Umfeld. Ich bin mir auch sicher, dass es Depressionen schon immer gab. Früher hat man halt einfach gesoffen oder sich umgebracht, wenn es psychische Probleme gab. Ich glaube aber, dass die Akzeptanz einer Kopfkrankheit gestiegen ist, seitdem zum Beispiel im Fernsehen dauernd jemand zum Therapeuten rennt. Jede Zeit hat ihre Probleme. Heute haben wir enorm viele Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung und sehr wenig Sicherheiten, früher war es genau anders herum. Irgendetwas Existentielles fehlt also immer. Und das fördert ein Ungleichgewicht im Kopf recht schnell.
SPIEGEL ONLINE: Depression ist eine Volkskrankheit, trotzdem ist sie mit einem Tabu belegt. Fiel es Ihnen schwer, offen damit umzugehen?
Kuttner: Eigentlich nicht. Aber als ich für ein wenig Recherche beim Psychiater im Wartezimmer saß, schämte ich mich irrsinnig. Natürlich war das total unsinnig, da ich ja nur von Leuten umgeben war, die selbst einen Termin beim Psychiater haben. Und da dachte ich: Siehste, du denkst immer, du bist der modernste, aufgeklärteste Mensch der Welt, dir kann keiner was und dann schämst du dich beim Psychiater.
SPIEGEL ONLINE: Ein Psychiater ist also kein Arzt wie jeder andere?
Kuttner: Doch, genau das! Das muss man nur mal lernen. Einer für den Kopf. Fühlt man sich seelisch im Ungleichgewicht, denkt man nur schnell: Hab’ dich mal nicht so, du bist doch nur traurig. Dabei kann so eine Traurigkeit tatsächlich sehr ungesund und behandlungsbedürftig werden. Eine Angstattacke ist das ultimative Zeichen, dass die Seele mit Hilfe des Körpers aussendet: Jetzt geht’s nicht mehr. Ich habe viele verzweifelte Psychiater erlebt, die meinten, die Leute kommen immer erst, wenn’s zu spät ist.